Interview mit dem neuen Vorsitzenden

24.07.2022

Kommunikation ist mein großes Thema“

 

Ratsherr Balthasar Tirtey spricht im Interview über seine neue Rolle als Vorsitzender des CDU-Stadtverbands Würselen.

WÜRSELEN Zum Abschied klirrte das Porzellan, und zwar gehörig. Rund zwei Monate sind vergangen, seitdem Peter Havers als Vorsitzender des Würselener CDU-Stadtverbands zurücktrat, die Stadtratsfraktion verließ und in einem Zuge erhebliche Vorwürfe gegen den Fraktionsvorsitzenden Karl-Jürgen Schmitz erhob. Nur rund zwei Wochen später wurde die Nachfolge geklärt: Die Mitgliederversammlung wählte Balthasar Tirtey zum neuen Vorsitzenden. Tirtey ist von Beruf Bezirksbeamter der Aachener Polizei in Würselen und sitzt für die CDU im Stadtrat sowie in diversen Ausschüssen. Im Interview mit Redakteur Jan Mönch spricht er über den Eklat zwischen Havers und Schmitz, seinen neuen Vorstand und darüber, wieso er als Vorsitzender ganz auf Kommunikation setzen will.

Herr Tirtey, Sie sind neuer CDU-Vorsitzender in Würselen. Wieso tun Sie sich das an?

Balthasar Tirtey: Weil ich mit den Zielen der CDU seit Jahrzehnten eng verbunden bin. Nun will ich dafür sorgen, dass die CDU in Würselen zukunftsfähig aufgestellt wird und im Dialog mit den Bürgern arbeitet. Das ist mir in den letzten Jahren zu kurz gekommen.

Was konkret hat denn zur Zukunftsfähigkeit gefehlt?

Tirtey: Wenn man sich das Durchschnittsalter unserer Mitglieder ansieht, dann wird klar, dass uns Jugendliche fehlen, die eigentlich mit unseren Zielen übereinstimmen, sich aber momentan von der CDU nicht angesprochen fühlen. Die will ich für uns gewinnen, und das geht nur, wenn man ins Gespräch kommt. Ich will dafür eintreten, das Team sehr bunt aufzustellen.

Mit Verlaub: Sie sind selbst kein Jungspund mehr…

Tirtey: Ich arbeite nicht nur in meinem Beruf als Polizeibeamter eng mit Kindern und Jugendlichen zusammen, sondern fühle mich der Jugend auch sonst sehr nahe. Vielleicht habe ich ja noch nicht gemerkt, wie alt ich bin. Ich bin beim Jungenspiel dabei, ich bin beim Karneval dabei, ich habe mit keiner Bevölkerungsgruppe Berührungsängste, ob jung oder alt, deutschstämmig oder zugewandert. Ich spreche mit jedem und will dazu auch meine Parteifreunde motivieren. Dann sind wir wieder die Volkspartei CDU.

Sie sind mit 34 von 44 Stimmen zum CDU-Vorsitzenden gewählt worden, einen Gegenkandidaten gab es nicht. Wie zufrieden können Sie damit sein?

Tirtey: Vor der Wahl habe ich gesagt: Wenn ich 70 Prozent bekomme, bin ich dicke zufrieden. Nun sind es 77 geworden. Ich habe jahrelang den Angreifer gemacht, aus taktischen Gründen und weil es mir liegt. Das wird in der Politik nicht immer gerne gesehen, viele kennen mich aber nur auf dieser Schiene. Ich werde nie ein 100-Prozent-Ergebnis bekommen. Das überlasse ich anderen.

Wie waren denn die ersten Wochen als Vorsitzender?

Tirtey: Es ist genauso anstrengend, wie ich es mir vorgestellt habe. Ich bin nicht davon ausgegangen, den Job zu übernehmen und dann eine ruhige Kugel schieben zu können. Es wird viel Arbeit geben, und davon werde ich auch einiges verteilen. Jeder soll eine Aufgabe bekommen, die er gut kann. Nehmen wir die Betreuung unserer Webseite: Das macht jetzt unser Geschäftsführer Domenik Glum, denn der kommt beruflich aus dem Bereich und übernimmt diese Aufgabe auch schon bei Feuerwehr und DRK. Ich selbst wäre dazu hingegen nicht geeignet.

Was ist mit dem übrigen geschäftsführenden Vorstand?

Tirtey: Mit Heike Tremöhlen und Heiko Franzen habe ich zwei sehr gute Stellvertreter, von denen ich Transparenz in die Ortsverbände hinein erwarte. Wir haben nun einmal drei Ortsverbände, und die sollten wissen, was im Stadtverband Sache ist. Josefine Lohmann ist eine Kassiererin, der von allen Seiten bescheinigt wird, dass alles, was sie zu Papier bringt, verständlich und jeder Cent nachvollziehbar ist. Und dann ist da der neue Mitgliederbeauftragte Manfred Wirtz, der in Würselen bekannt ist wie ein bunter Hund und sicherlich – genau wie ich – auch seine Feinde hat, aber aus unserer Mitgliederschaft so viele Menschen kennt, dass er für diese Aufgabe geradezu prädestiniert ist.

Wir stehen also auf einem breiten Fundament. Je breiter es intern ist, desto mehr Menschen erreichen wir außerhalb der CDU.

Für Ihren Vorgänger Peter Havers hatten Sie bei der Mitgliederversammlung Lob wie Kritik übrig.

Tirtey: Peter Havers hat vor allen Dingen den Dialog mit den Grünen wieder in Gang gebracht. Wir hatten von 1999 bis 2004 schon einmal eine sehr gute Koalition mit den Grünen, danach gaben die Wahlergebnisse das erstmal nicht mehr her. Peter Havers hat die Chance erkannt, dass es eine schwarz-grüne Mehrheit geben könnte, und dass es mit Roger Nießen einen möglichen Kandidaten gab, der für beide Seiten akzeptabel sein könnte. Das hat er vorangetrieben, das ist sein Hauptverdienst. Er hat auch einen sehr guten Wahlkampf gemacht.

Kann man sagen, dass Peter Havers Roger Nießen zum Bürgermeister gemacht hat, oder ist das zu hoch gegriffen?

Tirtey: Wir haben ihn alle gemeinsam zum Bürgermeister gemacht. Initiativ waren es aber die Spitzen der Grünen und der CDU, also auch Peter Havers.

Was lief weniger gut, was wollen Sie anders machen?

Tirtey: Die interne Kommunikation muss verbessert werden. Ich will die Mitglieder ständig informieren, was innerhalb der CDU in Würselen passiert und was in Rat und Ausschüssen gemacht wird. Ich hoffe, dass es dann auch Rückmeldungen gibt, positive wie Kritik.

Herr Havers hat seine Amtszeit mit einem Eklat beendet, indem er den Fraktionsvorsitzenden Karl-Jürgen Schmitz angegriffen hat. Wie sieht Ihre Bewertung aus?

Tirtey: Ich bin davon überzeugt, dass es um eine sehr persönliche Auseinandersetzung geht. Man kann geteilter Meinung darüber sein, ob man die öffentlich führen sollte oder nicht. Das geht so, wie es hier gemacht wurde, jedenfalls nicht. Da sind wir übrigens auch wieder beim Thema Kommunikation: Mit Kommunikation hätte man das Thema aus der Welt schaffen können.

Offenbar stehen Sie in der Sache also an der Seite des Fraktionsvorsitzenden.

Tirtey: Nach meinem jetzigen Kenntnisstand ist Karl-Jürgen Schmitz nach meinem Dafürhalten nichts vorzuwerfen.

Sie sind selbst Teil der Fraktion. Wie bewerten Sie die Zusammenarbeit mit Herrn Schmitz als Fraktionsmitglied?

Tirtey: Kommunikativ kann auch in der Fraktion noch mehr passieren, keine Frage. Da stellt sich allerdings auch die Frage, ob es eingefordert wird. Wenn ich Herrn Schmitz anrufe, bekomme ich jedenfalls immer eine Antwort. Herr Schmitz nimmt die Aufgabe als Fraktionsvorsitzender nicht nur seit langen Jahren wahr, sondern hat auch in sehr vielen Fällen den Ausgleich herbeigeführt, wo manche meinten, man bekommt die Enden nie
beieinander. Der Kompromiss um jeden Preis kann aber auch ein Problem darstellen.

Wie das?

Tirtey: Als es um den Standort für die Gesamtschule ging, hat das in der CDU damals zu heftigem Streit geführt. Denn eigentlich hatten wir die ganz klare Linie, dass die Gesamtschule in das Gebäude der auslaufenden Realschule soll. Davon sind wir aufgrund der damaligen Koalition mit der SPD abgerückt. Und dafür wurden Dinge schöngeredet. Dass das Gebäude jetzt zu klein ist und wir nachrüsten müssen, ist der Tatsache geschuldet, dass damals nicht genügend Geld für eine Schule in der erforderlichen Größe da war. Also haben wir vierzügig geplant. Dieser Kompromiss war aus meiner Sicht ein fauler.

Inwiefern?

Tirtey: Alle, die aus dem Schulbereich kommen, wussten: Wir werden mindestens fünf Züge brauchen, angesichts eines neuen Gebäudes mit moderner Infrastruktur vielleicht sogar sechs. Da geht der Kompromiss zu weit: Um die Koalition zu retten, wurde eine falsche Entscheidung getroffen. Ich habe mir dann eine politische Auszeit genommen.

Schon vor dem Austritt von Peter Havers aus der Fraktion ist es bei der CDU und auch bei den Grünen in den vergangenen Jahren vermehrt zu Fraktionsaustritten gekommen. Wieso fällt es so schwer, den Laden zusammenzuhalten?

Tirtey: Da kommen verschiedene Faktoren zusammen. Wenn man nicht mit den Leuten spricht, die ein Problem haben, baut sich das Problem immer weiter auf, bis es nicht mehr lösbar ist und die Konsequenzen gezogen werden. Sollte nicht passieren, kann aber vorkommen. Es gibt allerdings auch Leute, die wollen gar nicht reden und verweigern die Kommunikation. Sie merken: Kommunikation ist mein großes Thema.

In der Tat. Was versetzt Sie denn eigentlich in die Lage, ein so guter Kommunikator zu sein? Vielleicht Ihr Beruf?

Tirtey: Die Kommunikation ist das wichtigste Arbeitsmittel eines Polizisten.

Tatsächlich?

Tirtey: Wenn ich zu einem Einsatz komme, muss ich herausfinden, was passiert ist, ich muss Leute, die
einander aggressiv gegenüberstehen, auseinanderbringen. Dazu stelle ich mich nicht unbedingt dazwischen und schiebe sie weg. Sondern ich rede mit ihnen.

In dieser Legislaturperiode haben CDU und Grüne je ein Mitglied verloren. Das Finden von politischen Mehrheiten wird dadurch nicht einfacher. Wie dringend sind CDU und Grüne mittlerweile auf die UWG angewiesen?

Tirtey: Grundsätzlich brauchen wir die Zusammenarbeit mit allen. Auf kommunaler Ebene werden die Dinge meist gemeinsam verabschiedet. Die UWG brauchen wir, wenn wir Dinge vorantreiben wollen, die nicht von vornherein einen Konsens mit sich bringen. Wir haben nun einmal keine eigene Mehrheit mehr. Wir sind mit der UWG so eng im Gespräch und haben ein so gutes Verhältnis, dass wir sie meiner Meinung nach eigentlich auch in die Koalition aufnehmen oder eine Kooperation eingehen könnten. Die UWG hat damit nur ein Problem: Das U steht für unabhängig, und die Unabhängigkeit soll nicht aufgegeben werden. Dafür habe ich Verständnis.

In Würselen hat es sich eingespielt, dass Arbeitsgruppen zu bestimmten Themen gegründet werden, bestes Beispiel ist die Schulentwicklung – Ihr liebstes Steckenpferd. Anders als im Stadtrat haben Öffentlichkeit und Presse keinen Zutritt. Ist es im Sinne einer zeitgemäßen Kommunikation, wenn die Dinge hinter verschlossenen Türen geregelt werden und im Stadtrat nur noch der Finger gehoben wird?

Tirtey: Genau das passiert ja nicht. Es wird nichts hinter verschlossenen Türen geregelt. Es gab und gibt Arbeitsgruppen, in denen nur gearbeitet wird. Die verrücktesten Dinge werden aufs Tapet gebracht und Ideen in den Raum gestellt, die man öffentlich gar nicht äußern könnte, ohne gefragt zu werden, ob man wahnsinnig ist.

Erzählen Sie mehr!

Tirtey: Ohne zu sagen, von wem es gekommen ist: Es wurde etwa vorgeschlagen, die K30 hinter das Aquana zu verlegen, um Platz für die Gesamtschulerweiterung zu schaffen. Das würde natürlich so lange dauern, da wäre die Gesamtschule schon wieder renovierungsbedürftig, bis der Prozess abgeschlossen ist. Trotzdem ist das ein Vorschlag, den jemand Neues ruhig machen können soll. Aber in der Arbeitsgruppe und nicht im Bildungsausschuss. Je abwegiger ein dort geäußerter Gedanke ist, desto größer baut die Zeitung ihn schließlich auf.

„Politik will K30 verlegen“ wäre in der Tat eine schöne Schlagzeile gewesen.

Tirtey: Was wir in den Arbeitsgruppen machen, ist Brainstorming. Da können alle Dinge angesprochen und gegebenenfalls beiseitegelegt werden. Alles, was in den Arbeitsgruppen hingegen als denkbar und machbar und eventuell umsetzbar erachtet wird, wird später da diskutiert, wo es hingehört: in den Ausschüssen, in der Öffentlichkeit.